Am 14. Juli 2021, gerade fuhren die Bauern in Südschweden unter blauem Himmel ihre ersten Haferernten ein, setzte ein kleiner, giftiger Investor in New York einen explosiven Bericht ins Netz. Der Statistiker Ben Axler, Chef von Spruce Point Capital Management, hat sich auf fallende Börsenkurse spezialisiert – Abstürze, die er jeweils mit gnadenlosen Rechercheberichten zu den jeweiligen Unternehmen selber mit auslöst. Besonders leidenschaftlich tut er das, wenn es sich dabei um einen umschwärmten, neuen Wallstreet-Liebling handelt.
Wie in diesem Fall.
«Spruce Point hat aussagekräftige Informationen zusammengetragen, dass bei Oatly bald die Wände über seinen ehrgeizigen Plänen zusammenkrachen», schrieb Axler. Investorinnen seien zwar ganz verliebt in Oatlys Wachstum im trendigen Plant-based-Markt und in seine Nachhaltigkeitsprosa. Doch Oatly werde «seine Investoren bitter enttäuschen und niemals Gewinne schreiben».
Die Vorwürfe an den schwedischen Hafermilchhersteller: ein zu teurer Produktionsausbau, eine geschönte Nachhaltigkeitsbilanz, aufgeblasene Prognosen, unsicherer Hafernachschub, amateurhafte Expansion in den USA. Mit anderen Worten: «Weltklasse im Marketing, zweitklassig bei Finanzen und Prozessen.»
Nur wenige Wochen zuvor hatte Oatly bei seinem Börsengang an der amerikanischen Nasdaq atemberaubende 1,4 Milliarden Dollar an Kapital aufgenommen. Eine Menge Anwältinnen scheinen Axler zu glauben – und sammeln nun reuige Investoren für eine potenzielle Sammelklage ein.
Und dreieinhalb Monate vor dem Börsengang war Oatly am gigantischsten Sportfest der USA, dem Superbowl, mit einem Video aufgetreten, in dem der CEO persönlich mitten in einem Kornfeld am Keyboard steht und gut gelaunt «Oh, wow, no cow» singt.
Was ist das für eine Firma, die von sich behauptet, sie verkaufe primär kein Produkt – sondern wolle das food system verändern, damit der Planet weniger Schaden nimmt? Und die dies ganz und gar, mit Haut und Haaren, mit big capitalism tut?
1. Aussaat
Die Geschichten von Unternehmen werden gerne bei denen begonnen, die sie begründen: bei den genialen Tüftlerinnen, Träumern und Tatkräftigen, die sie vorantreiben.
Im Fall von Oatly ist das der Hafer.
Denn es war der Hafer selbst – die schiere Menge davon –, der die Menschen in Südschweden dazu brachte, etwas aus ihm zu machen. Hafer ist als Getreide gleichzeitig schlicht und anspruchsvoll. Er ist leicht an Gewicht, aber wegen seiner glockenartigen Kornköpfchen voluminös im Transport. Er wächst robust und wetterfest, wird aber wegen des hohen Fettgehalts schnell ranzig. Kein Wunder also, dass die auf Effizienz bedachten Römer ihn als Unkraut verachteten – die Nordländerinnen ihn aber seiner Robustheit wegenfrüh und ausgiebig anbauten.
Jetzt suchte sich dieser Hafer den Markt, den er brauchte. Ganz nach dem zweiten Gesetz der Ökologie: Alles muss irgendwo hin. Nichts kann einfach spurlos verschwinden.
In den 1980ern strich Schweden gerade einen Grossteil seiner Landwirtschaftssubventionen, früher und radikaler als andere europäische Länder. Fortan würde der Staat nicht mehr, wie seit Generationen üblich, Getreide zu einem fest vereinbarten Preis aufkaufen und Überschüsse in den Export schicken – stattdessen sollte es für die Bauern bald nur noch spärliche Direktzahlungen geben.
Eine Rosskur, so wurde bereits damals spekuliert, für einen späteren EU-Markt-Zutritt Schwedens. Also mussten sich die Landwirtinnen etwas einfallen lassen. Und gründeten die Skånska Lantmännen Stiftelsen, einen Finanzierungsfonds für Getreideforschung. Zum Chef machten sie den Agrarexperten und PR-Mann Lennart Wikström, der ihnen neue Märkte erschliessen sollte. «Lennart war sehr offen für die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern», sagt einer der Wegbegleiter von damals.
An der Universität Lund traf er auf jemanden, der – wie schon sein Doktorvater vor ihm – auf eigene Faust an einer laktosefreien Milch aus Kuhmilch oder Getreide tüftelte: einen jungen Forscher namens Rickard Öste. Bei einem Treffen überzeugten Öste und seine Kollegin Inger Ahldén die Bäuerinnen – und die Stiftung finanzierte ihnen und zwei anderen Wissenschaftlern für drei Jahre die Hafermilchforschung. 1993 reichten sie ihr Patent ein; im Jahr darauf gründeten sie die Firma Ceba AB, aus der später Oatly entstand.
Es ist also kein Zufall, dass Oatly hier geboren wurde, unter dem weiten Himmel und zwischen den Kornfeldern Südschwedens.
«Wenn man hier in dieser Landschaft lebt, dann ist man in diese Felder eingebettet», sagt Magnus Lagnevik, Ökonomieprofessor in Lund, der über die südschwedische Lebensmittelindustrie ein Buch schrieb. «Es ist sehr besonders und ganz anders als der Rest von Schweden.»
Jahrelang tuckerte die Firma vor sich hin. Sie bot erst Schlankheitsdrinks an, dann, nach dem Einstieg einiger Investoren, laktosefreie Linien in England, in den USA und in schwedischen ICA-Läden – und verkaufte schliesslich jedes Jahr ein paar Millionen Liter der Milchalternative. Die Verpackungen sahen alle nach Apotheke aus: biederes Blau oder Grün, und eine unsichtbare Hand leert von oben rechts Milchweiss in ein Glas.
Dann kamen Toni Petersson und John Schoolcraft. Und mit ihnen die Macht der Worte.
2. Dünger
Das hier war das neue Südschweden: jung, gut ausgebildet, international, moralisch, radikal umweltbewusst. Der Boden, auf dem zur selben Zeit auch Greta Thunberg wuchs.
«Jeder Mensch will die Welt zu einem besseren Ort machen», sagt Toni Petersson, einstiger Clubbesitzer, heute Zen-Gärtner und Familienvater, seit 2012 der CEO von Oatly. «Wenn die Leute mit persönlichen Entscheiden das Klima positiv beeinflussen können, dann tun sie das.»
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(17.08.2022)