Viel Geld, wenig Land

Warum in der Schweiz teure Wohnsiedlungen gebaut werden wie verrückt. Und warum das auch gut verdienende Bürger beschäftigen sollte.

«Mit Immobilien ist mehr Geld verdient worden als mit allen anderen Investitionen zusammen.» (Andrew Carnegie)

Heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit bot sich vielen Leuten in der Schweiz derselbe Anblick: eine neue, hochelegante Wohnsiedlung, die in den Himmel wächst. Nicht nur in Zürich, Basel und Genf. Sondern überall: beispielsweise auch in Liestal (BL), Emmen (LU), Aarwangen (BE), Altstätten (SG) oder Ecublens (VD). Neubauten schiessen selbst dort in die Höhe, wo kaum jemand wohnen will. Und in den Städten explodieren gleichzeitig die Mietpreise.

Was ist los auf dem Schweizer Wohnungsmarkt?

Nun, der Kapitalismus ist los. Mit allem Guten und allem Schwierigen, das er mit sich bringt. Und, so viel vorweg: Die Sache mit den Mietpreisen könnte noch viel drastischer sein – weil die Schweiz einiges richtig macht.

Erben und Neureiche
Die Geschichte beginnt, wie so viele Geschichten, beim Geld. Viel Geld – und immer mehr. Der Reichtum in der Welt hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Nicht nur in Europa und den USA, sondern auch in aufstrebenden Ländern wie China, Singapur, Indien oder Südafrika. Allein 2019 sind insgesamt geschätzte 9000 Milliarden Dollar oder rund 2,6 Prozent an privaten Vermögen hinzugekommen.

Und die Schweiz ist einer der Hotspots des Reichtums.

Alle privaten in der Schweiz angehäuften Vermögen summieren sich laut der Statistik der Schweizerischen Nationalbank auf rund 2600 Milliarden Franken – angesichts der Grösse der Bevölkerung eine im internationalen Vergleich beachtliche Summe. Ein Teil davon konzentriert sich wie in vielen Ländern auf wenige, sehr reiche Familien: Das oberste 1 Prozent der Einwohner besitzt 27 Prozent des Vermögens, wie die Ökonomen Reto Föllmi und Isabel Martínez berechnet haben.

Viele von diesen grossen Vermögen sind altes Geld, das in der Schweiz – anders als in vielen anderen Ländern – vom letzten Weltkrieg verschont blieb und auch nicht wesentlich durch Erbschaftssteuern gemindert wurde. Zu diesem solide gewachsenen Reichtum ist seit den 1990er-Jahren ein neuer Pool von konzentrierten Vermögen hinzugekommen: Eine global orientierte Elite oberster Führungs­kräfte häufte es an, weil sie so viel verdiente wie keine Manager­generation vor ihr. Seit den 1980er-Jahren sind ihre Gehälter an die Börsen­werte ihrer Unternehmen gekoppelt, wie die Ökonomen Xavier Gabaix und Augustin Landier 2006 aufzeigten. Und die Börsen – auch jene in Zürich – wurden in den vergangenen dreissig Jahren mit Geld geflutet.

Noch mehr Geld
Doch nicht nur die Super­reichen haben in der Schweiz Vermögen. Hierzulande wird gesamthaft so viel Einkommen gespart wie sonst nur in wenigen Ländern. Wie breit verteilt es letztlich ist, ist schwierig zu belegen, weil die Daten der Steuer­behörden die privaten Vorsorge­gelder nicht mit erfassen. Sie zeigen lediglich verlässlich auf, dass rund 45 Prozent der Einwohnerinnen ein Vermögen von über 50’000 Franken angeben. Über die tatsächlichen Zustände sagt das nichts aus. Der Vermögensbericht der Credit Suisse, der die private Vorsorge mit einbezieht, schätzt das Median­vermögen in der Schweiz – eine Hälfte der Bevölkerung besitzt mehr, die andere weniger – auf 228’000 Franken. Tatsache ist: Allein die Pensions­kassen verwalten in der Schweiz ein Vermögen von rund 1042 Milliarden Franken. 40 Prozent des gesamten Privatvermögens.

Mit anderen Worten: Es sammeln sich in diesem Land enorme Summen von Geld. Man muss nicht das populistische Wort «Spekulanten» grellrot auf Plakate drucken, wie es die Initiantinnen «für mehr bezahlbare Wohnungen» tun, um zu sehen, dass das nicht ohne Folgen bleibt. Nicht ohne Folgen bleiben kann.

Denn all dieses Geld will investiert sein, wenn es nicht auf Bankkonten zum Nullzins dahin­dümpeln soll. In Start-ups, Beteiligungen an Unternehmen, in Fremdwährungen, Staats­obligationen, Gold oder Bitcoin. In Kunst – 6 Prozent mehr Umsatz im vergangenen Jahr allein –, in Philanthropie und Spenden. Oder in letzter Zeit wieder besonders gern: in Immobilien. Wie man bei weitem nicht nur in der Schweiz feststellt. Im Gegenteil.

Etwa 170 Billionen Dollar an Wert sind inzwischen weltweit in Wohn­liegenschaften angelegt, schätzt der «Economist», der dem Wohnungs­markt angesichts der Dringlichkeit gerade jetzt einen Spezialreport widmet. Das ist fast dreimal so viel wie in Aktien oder mehr als das Hundert­fache allen Goldes, das je aus dem Boden gezogen wurde.

«Im 18. Jahrhundert war die eine, mit Abstand grösste Vermögens­klasse das Farmland», stellt das Wirtschafts­magazin fest. «Im 19. Jahr­hundert eroberten diesen ersten Platz die Fabriken, die die industrielle Revolution vorantrieben. Heute sind es die Wohnimmobilien.»

Kein Wunder: Mit wenig anderem lässt sich mit etwas Startkapital und Geschick so verlässlich Geld verdienen wie mit Mietshäusern.

(...)

(31.01.2020)

Weiterlesen
Thema
Wirtschaft
Zur Übersicht
Thema
Feminismus
Zur Übersicht