Als Penelope ihre Stimme erhob

Das Abstrafen von Frauen, die öffentlich ihre Stimme erheben, geht zurück bis in die Antike – und ist tief in unserem Denken verankert. Das zeigt die Historikerin Mary Beard in einem lesenswerten Buch.

Während Odysseus um die Welt zog, wartete seine Frau Penelope zu Hause auf ihn, Tag und Nacht umworben von Freiern – aber treu und standhaft, wie uns seit Jahrtausenden versichert wird (ein Vorbild für uns alle!). Doch selbst Penelope wurden die ständigen Minnegesänge offenbar eines Tages zu viel. Sie wagte sich vor, wandte sich an den wehklagenden Verehrer und bat ihn, doch bitte etwas Leichteres und Fröhlicheres anzustimmen, ihr werde sonst allzu schwer ums Herz.

Weiter kam sie nicht.

Ihr Sohn Telemachus wies Penelope an, sich wieder in die privaten Räume des oberen Stockwerks zurückzuziehen und sich dort um Web- und Spinnarbeit zu kümmern, wie es sich gehöre. «Sprache ist Sache von Männern und meine ganz besonders, denn ich bin hier der Herr des Hauses.» Eine der Schlüsselszenen in einem der wichtigsten Werke zu Beginn dessen, was die westliche Literatur werden sollte, beschreibt eine Frau, die zum Schweigen gebracht wird.

Die Althistorikerin Mary Beard, Professorin in Cambridge, beginnt damit ihr Buch «Women & Power»; ein dichter, schmaler Band, den sie im November basierend auf zwei Vorträgen veröffentlicht hat. Das Werk trägt den Untertitel «A Manifesto», und es ist eine Erklärung – «an mich selber, meine Mutter, Millionen von Frauen». Eine Erklärung für den «sehr hohen Preis, den Frauen noch immer bezahlen, wenn sie sich öffentlich Gehör verschaffen». Denn die Erklärung der Frauenfeindlichkeit, wenn auch richtig, reiche dafür nicht aus, so Beard. «Wenn wir das verstehen und ändern wollen, müssen wir anerkennen, dass wir es hier mit einer sehr langen Tradition zu tun haben.» Gerade wegen des enormen Einflusses der Antike auf unsere Vorstellungen von Rhetorik, Staatskunst und Politik mache ein Blick zurück vieles klar. «Die westliche Kultur hat Tausende Jahre Erfahrung darin, Frauen zum Schweigen zu bringen.»

Angriff auf die Ordnung des Staates
Zurück zu Telemachus und seinem Auftritt. Das Publikum wusste laut Beard genau, wie es diese Szene zu verstehen hatte: als Coming-of-Age-Moment. Mit der gelungenen Zurechtweisung seiner Mutter, dem bestimmten Auftritt vor Publikum, wird der junge Sohn zum Mann. Er besteht eine Art Initiationsritus.

Für die Griechen und Römer war es nicht einfach nur so, dass das «Sprechen» eine Männersache war – Frauen «plauderten», «tratschten», «bellten», «winselten». Viel mehr noch: Das öffentliche Sprechen machte den Mann erst zum Mann (sprich: Bürger). Führen, regieren, Macht ausüben konnte nur, wer sprechen konnte. Und damit auch Frauen zum Schweigen bringen. Frauen, die sprachen, waren nicht einfach nur seltsam, ungewohnt oder ungehörig – sie gefährdeten die grundsätzliche Ordnung des Staates. Mit seinem Auftritt bewies Telemachus in den Augen und Ohren des Publikums, dass er das Zeug zum Herrscher hat.

Es ist ein Denken, das bis heute Bestand hat und nachwirkt. «Wir werden es ihr zeigen», sagen im aktuellen Film «I, Tonya» über die US-amerikanische Eiskunstläuferin Tonya Harding deren Ehemann und sein dümmlicher Sidekick zueinander. «Wir sind die Männer, wir werden es ihr zeigen.» Es ist nur eines von Millionen Beispielen, Tausende Jahre nach Penelope, in einer Landschaft und einem Milieu, die völlig andere sind – und dennoch.

(...)

(01.03.2018)

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